Backnang/Rems-Murr-Kreis/ Lenzkirch

Pflegen bis zum Umfallen

Fachkräftemangel: Eltern werden bei der Versorgung ihrer schwerstkranker Kinder alleine gelassen

Backnang/Rems-Murr-Kreis/ Lenzkirch, 10.5.2017

Durchwachte Nächte voller Sorge am Bett des schwerstkranken Kindes, im besten Fall zwei, drei Stunden Schlaf am Stück, am Tag danach dann einfach weiter funktionieren – und das ohne Pause über Wochen, Monate oder Jahre: die Pflege eines unheilbar kranken Kindes, das absehbar sterben wird, ist für dessen Eltern unvorstellbar anstrengend. Zumal dann, wenn nirgends qualifiziertes Pflegepersonal aufzutreiben ist, das sie unterstützen könnte. Genau das aber erleben betroffene Eltern überall in Deutschland – und auch im Rems-Murr-Kreis. Darauf weisen der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Pusteblume der Hospizstiftung Rems-Murr-Kreis e.V. und der Bundesverband Kinderhospiz anlässlich des internationalen „Tags der Pflege“ am 12.5. hin.

„Dieser Notstand betrifft nicht nur eine Familie sondern ist in unserem Raum Alltag für die ohnehin schwer belasteten Familien. Gibt es einen Pflegedienst der die Familie betreut, so ist damit noch nicht sichergestellt, dass die Versorgung auch so abläuft, wie geplant. Der Fachkräftemangel führt häufig zu Engpässen mit erheblichen Folgen.“ sagt Mieke Müller-Nielsen, Koordinatorin von Pusteblume. „Gerade bei Kindern ist eine 24 Stunden Überwachung nicht so selten und diese wird von Eltern geleistet, die nebenbei noch für die Versorgung der Geschwisterkinder und für das Familieneinkommen zuständig sind. Eine unfassbare Belastungssituation.“

 

„Der allgemeine Fachkräftemangel betrifft eben nicht nur die Alten- und Krankenpflege, sondern auch die Versorgung unheilbar kranker Kinder mit verkürzter Lebenserwartung in ganz Deutschland“, ergänzt Sabine Kraft, die Geschäftsführerin des Bundesverbands Kinderhospiz (BVKH). Der BKVH setzt sich als Dachorganisation ambulanter und stationärer Kinderhospize in Deutschland für die bestmögliche Versorgung lebensverkürzend erkrankter Kinder ein und engagiert sich politisch und gesellschaftlich für die Belange der betroffenen Familien. „Wir hören aus den unterschiedlichsten Ecken der Republik, dass Kinderkrankenpflegedienste offene Stellen wegen Bewerbermangel nicht besetzen können und dass Eltern wochen- oder gar monatelang vergeblich nach gut qualifiziertem Fachpersonal suchen. Einige dieser Familien haben von ihren Krankenkassen sogar eine 24-Stunden-Pflege für ihre Kinder bewilligt bekommen, haben also theoretisch das Recht auf Unterstützung rund um die Uhr! Tatsächlich aber sind die ambulanten Kinderkrankenpflegedienste in ihrer Region heillos überlastet und können keine zusätzlich nötigen Pflegezeiten mehr abdecken geschweige denn neue Patienten aufnehmen.“ Die betroffenen Familien seien bei der Pflege ihrer Kinder zu Hause dann auf sich allein gestellt – oftmals bis zur völligen Überforderung und Erschöpfung. Auch viele der 15 stationären Kinderhospize in Deutschland, die den betroffenen Familien Entlastungsaufenthalte anbieten, suchen dringend Verstärkung für ihre Pflegeteams.

„Die Pflege eines Kindes zu Hause ganz oder in Teilen alleine bewältigen zu müssen,“ sagt Müller-Nielsen sei für die Betroffenen schlicht unzumutbar: „Für eine Mutter oder einen Vater gibt es kaum etwas Schlimmeres als das Wissen, das eigene Kind in den Tod begleiten zu müssen. Selbst wenn sie genügend Fachkräfte für eine gute pflegerische Versorgung des Kindes zu Hause finden würden, leben sie ein Leben in permanentem Ausnahmezustand.“

Es sei daher dringend nötig, etwas gegen den Fachkräftemangel zu unternehmen, um die betroffenen Familien wenigstens bei der Pflege ihrer Kinder zu entlasten, sagt BKVH-Geschäftsführerin Kraft : „Die Kinderkrankenpflege muss als Berufszweig attraktiver werden. Ich bin allerdings skeptisch, dass die unlängst beschlossene Reform der Pflegekräfte-Ausbildung dieses Ziel erreichen wird. Zwar wird für angehende Pflegefachkräfte von 2019 an kein Schulgeld mehr fällig; das ist eine gute Nachricht. Ob Fachkräfte für Kinderkrankenpflege künftig besser, schlechter oder genauso gut ausgebildet auf den Arbeitsmarkt kommen wie heute, hängt aber noch stark davon ab, wie die Reform im Detail in die Praxis umgesetzt wird. Und ob das Pflegepersonal in Zukunft höhere Löhne erhält und ob sich die Arbeitsbedingungen verbessern – das ist ebenfalls völlig offen.“

  

Zum Hintergrund:

Deutschlandweit sind weit über 40 000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren so schwer krank, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erwachsen werden. Etwa 5000 von ihnen sterben jedes Jahr.

Fachleute aus der Kinderhospizarbeit nennen die betroffenen kleinen Patienten allerdings bewusst nicht „sterbenskrank“, sondern „lebensverkürzend erkrankt“: Mit diesem Sprachgebrauch wollen sie statt des Todes die noch verbleibende Lebenszeit in den Blick nehmen, die sie den Kindern möglichst zufrieden und beschwerdefrei gestalten wollen. Viele der kleinen Patienten sterben nämlich nicht innerhalb weniger Tage oder Wochen nach der Diagnose, sondern leben tatsächlich mehrere Jahre lang mit ihrer Erkrankung.

 

 

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