Erlebnisse eines Ehrenamtlichen

Mein Leben danach!!

Nein, keine Angst. Damit ist nicht das Leben nach dem Tod gemeint, sondern eher eines VOR der ehrenamtlichen Tätigkeit und eines DANACH:

 

Vor etwas mehr als 20 Monaten habe ich mich dazu entschieden, meine damalige Tätigkeit aufzugeben und nach vorn zu schauen, um etwas Neues zu wagen.

 

Während meiner knapp 30-jährigen Zeit in verantwortungsvollen Positionen in einem Finanzdienstleistungsunternehmen der Automobilbranche habe ich viele Dinge erlebt, von denen ich heute profitiere, wenn auch in einem anderen Kontext.

 

Menschen und der Umgang mit Ihnen und auch die grundsätzliche Zuneigung zu Menschen hat mich mein ganzes Leben lang, meistens jedoch im beruflichen Umfeld. Natürlich hatte und habe ich einen großen Bekannten- und einen engen Freundeskreis, aber das ist etwas anderes.

 

Mir war vor der privaten Neuausrichtung, eigentlich seit 2014 nach einem „Praktikum“ in einer Demenzeinrichtung in Berlin-Neukölln, schon klar, dass mein Leben „danach“ sich weiter um Menschen dreht.

 

So habe ich mich freiberuflich selbständig gemacht, um Nachwuchsführungskräften mit meinen Erfahrungen in den ersten Jahren zur Seite zu stehen, Unternehmen in einem Veränderungsprozess professionell zu begleiten…aber da war noch was anderes, der Focus auf Schutz- und Betreuungsbedürftige, wie damals 2014.

 

Eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit der Hospizstiftung Rems-Murr-Kreis e.V. mitten in ersten Monaten der Corona-Pandemie hat mich dann überzeugt.

 

Sowohl hinsichtlich Betreuung Demenzerkrankter als auch meines zweiten Interessengebietes Sterbe-/Hospizbegleitung war auch seitens der Institution ein freundliches, hohes Interesse an einer Zusammenarbeit zu spüren.

 

Nach zwei Telefoninterviews mit freundlichen und kompetenten Mitarbeiterinnen der Stiftung war für mich klar, wir finden zusammen.

 

Leider war ich für die „Hospiz-Gruppe“ der berühmte „13. Bewerber“ und anfänglich sollte ich ein Jahr später beginnen. Vielleicht lag es an meiner Überzeugungsfähigkeit, vielleicht aber auch an der weiblichen Intuition meiner Gesprächspartnerin, auf jeden Fall bekam ich am folgenden Tag die erfreuliche Nachricht, ich bin dabei.

 

Was ich ab da erleben durfte, möchte ich hier teilen:

 

Ich hatte meine erste Erfahrung in der Demenzgruppe. Ich fühlte mich von Anfang an heimisch, hatte keine Berührungsängste. Die Gäste waren und sind offen, nach einer Woche Pause wurde ich von zwei Damen schon vermisst. Welches Feedback kann je wertvoller sein? Ich möchte meinen Donnertag Vormittag in der Gruppe nicht mehr missen. Die wenigen aber glücklichen Stunden der Gäste und die gleichzeitige Entlastung der Angehörigen…einfach schön, dazu beizutragen, und es macht Spaß.

 

Etwas später startete dann der Qualifizierungskurs zur Hospizbegleitung mit einem gemeinsamen Wochenende Anfang Oktober 2020. Mir saßen incl. der drei Seminarleiterinnen 15 Damen mit Masken gegenüber; mir kamen zwei Gedanken, entweder bist Du der Hahn im Korb oder Du wirst hier verhungern.

 

Beides traf nicht zu. Wir wurden so verschworen als „Corona-Gruppe“, dass Geschlechter keine Rolle spielten und wir wissbegierig die vielen fachlichen aber auch höchst persönlichen Abenden (Online oder auch persönlich) mit Freude auf ein Wiedersehen absolvierten. Wir hatten uns gefunden, vereint und viel Privates geteilt. Unvergessliche Augenblicke.

 

Das Thema hatte uns zusammengebracht und wir wählten unseren gemeinsamen Spruch „gemeinsam die Dunkelheit aushalten“.  Ich finde den sehr passend, wir Begleiter sehen danach wieder das Licht, also einen wertvollen Augenblick in der Dunkelheit bei dem Gast ausharren, Hand gebend, einfach nur sitzend, vorlesend oder schweigend, kurz gesagt, einfach da sein. Und die einzige Investition unserer Seite, Zeit und Aufmerksamkeit.

 

Mein damaliger Arbeitgeber hat mir eine Tür, ein Riesentor eröffnet. Die Arbeit mit Menschen, am Menschen dran sein und nicht nur hören, sondern zuhören, ja sogar Ungehörtes hören. Ich glaube, diese Fähigkeit macht es mir leichter, mich in den neuen Aufgaben zurecht zu finden. Ich nenne es liebend gern „die Antenne“ rausfahren um möglichst viel aufzunehmen.

 

Zurückblickend, mein Leben danach, das war ja der Beginn des Berichtes.

 

Damals war ich Aufsichtsratsmitglied, Abteilungsleiter, Projektleiter, verantwortlich für vier Länder…. etc., es ist nicht mehr wichtig, was früher war, was ich früher war. Heute bin ich „Stefan“ und es macht mich glücklich, anderen Menschen Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Alles andere zahlst Du mit Visa, dies ist unbezahlbar.

 

Liebe Grüße

Stefan

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