Ambulante Hospizarbeit – was ist das eigentlich konkret?

Ein Interview mit Dieter Beirle

Anderthalb Din-A5-Seiten über die ehrenamtliche Arbeit von Dieter Beirle in der ambulanten Sterbebegleitung – das wird schwierig! Der Mann ist ein Füllhorn von Geschichten, Begegnungen, Aufgaben, Ideen und Erfahrungen – schon mit dem zweiten Satz sprengt er den vorbereiteten Fragebogen. Wo soll man da anfangen, wo soll man abkürzen?

 

Und dabei ist er kein Vielredner, ganz im Gegenteil: „Ich kann ohne weiteres dasitzen und eine halbe Stunde gar nichts sagen“, erzählt er. „Deshalb arbeite ich auch am liebsten nachts.“  Da sitzt er dann am Bett eines schwerkranken Sterbenden, der döst ein, wacht wieder auf, erzählt ein bisschen „und das geht dann richtig in die Tiefe. Da besprechen wir Dinge, die können die Menschen tagsüber gar nicht sagen. Wenn einer weiß, dass er sterben muss, verschwendet er keine Zeit für Geschwätz.“  Zum Beispiel der Mann, dessen Kinder so zornig auf ihn waren, dass sie ihn niemals besuchten.  „Es dauerte lange bis er das aussprechen konnte, aber vorher konnte er einfach nicht sterben.“  Da besorgte der ehrenamtliche Sterbebegleiter Namen, Adressen und Telefonnummern der Kinder und arrangierte ein Gespräch.  Die Versöhnung gelang und drei Tage später konnte der Vater friedlich einschlafen.

 

Oder der Mann, der seine Kriegserlebnisse und seine Schuld einfach nicht verwinden konnte. Sie hatten ihn zeitlebens belastet, aber seine Familie durfte keinesfalls davon erfahren. Aber diesem Fremden, der da nachts an seinem Sterbebett saß, dem konnte er sich öffnen und, ja, mit dem konnte er beten.

 

Seit 19 Jahren arbeitet der Gärtnermeister als ehrenamtlicher Begleiter der Hospizstiftung Rems-Murr-Kreis e.V. und besucht Kranke und Sterbende zuhause oder im Pflegeheim – und schon immer tat er es am liebsten nachts, wenn „sonst niemand om dr Weg isch“.  Das war schon so, als er noch in der Paulinenpflege als Ausbilder tätig war.  Wie er denn das geschafft habe, will ich wissen, nachts am Bett und tagsüber im Gewächshaus. „Das ging gut“, versichert er und grinst schelmisch, „mit den Lehrlingen hab ich ja körperlich mitgearbeitet. Dabei kann man unmöglich einschlafen. Im Klassenzimmer geht es natürlich nicht – da kippen Sie einfach gegen die Tafel, wenn Sie nicht ausgeschlafen sind…“

 

Warum gerade Sterbebegleitung?  Er erzählt von seiner Bundeswehrzeit als Sanitäter, 19 Jahre alt und von einem Mädchen, grade mal 16, die versucht hatte, mit einer Stricknadel abzutreiben und starb.  Er war dabei und hat es nie mehr vergessen.  Und er erzählt von seiner Zeit als Friedhofsgärtner, vom Umgang mit Trauernden, von Todesfällen in der Familie. Nichts eigentlich außergewöhnliches. In jedem Leben schlägt der Tod immer wieder zu. „Und außerdem“, sagt er, „hab ich ja christlichen Hintergrund. Komme aus einer Pietistenfamilie. Bin selber Christ. Und sehe, wie gut das den Leuten tut. Wenn ich das erste Mal ein gemeinsames Gebet anbiete, lehnen sie ab. Später fordern sie es regelrecht ein. Deshalb hab ich auch immer mein Gesangbuch dabei. In Großdruck, damit ich es auch im Dämmerlicht lesen kann.“ Herr Beirle lacht und erzählt die Geschichte, wie er im Vaterunser nicht mehr weiterkam. „Es ging so langsam und ich wusste einfach nicht mehr, wo ich war. Aber der Kranke wollte jedes Wort nachsprechen, zeitversetzt, extrem langsam. Seitdem nehm‘ ich es immer mit um notfalls das Vaterunser halt abzulesen. Man weiß ja nie…“

 

Es gäbe noch viel zu erzählen – viel mehr, als hier Platz hat. Aber eines ist ihm so wichtig, dass es unbedingt noch gesagt sein muss:  „Wir würden so dringend noch neue Mitarbeiter brauchen. Gerade auch Männer. Wo man auch hinguckt sind im Ehrenamt Frauen. Das ist toll aber ich frage mich schon, warum sich die Männer so zurückziehen, denn…“, er zwinkert mir, der Frau, zu: „…so ein Gespräch unter Männern ist doch ganz etwas anderes!“

 

Lieber Herr Beirle, ich danke für das Gespräch.

 

Renate Schweizer

 

 

Wollen Sie mehr wissen über die ehrenamtliche Mitarbeit in der Sterbebegleitung? Wir informieren Sie gerne. Tel: 07191 / 344 194 0 Ansprechpartnerinnen: Frau Stolp-Schmidt, Frau Schweizer

 

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